"Regeln sind auch im Kriege unbedingt einzuhalten"
Es ist ein Ereignis, das Geschichte schreibt und viel mit Stuttgart zu tun hat: Vor 160 Jahren, am 22. August 1864, unterzeichnen in Genf zwölf Regierungen, darunter das Königreich Württemberg, die Genfer Konvention. Welche Bedeutung das damalige Ereignis noch heute hat, erklärt Christian B. Schad, Konventionsbeauftragter des DRK Stuttgart seit 1992. Bereits seit 1975 gehört er der Rotkreuz-Gemeinschaft an.
Herr Schad, warum sollte uns heute noch interessieren, was vor 160 Jahren in Genf zwölf Regierungen unterzeichneten?
Die Genfer Konvention ist praktisch genauso alt wie das Rote Kreuz selbst. Das Rote Kreuz ist deshalb entstanden, weil es immer schon Kriege gab und auch weiterhin gibt. Damit man helfen kann, braucht es damals wie heute Regeln, die die Opfer, aber auch die Helfenden schützen. Deshalb wurde das Rote Kreuz als neutrale Organisation von Freiwilligen gegründet, die im Kriege unparteiisch helfen. Alle verwundeten Soldaten sollten neutral und gleich behandelt werden. Auch das Schutzzeichen, das rote Kreuz auf weißem Grund, wurde weltweit eingeführt. Das Rote Kreuz von Württemberg gehörte 1864 zu den Erstunterzeichner der ersten Genfer Konvention.
Was hat die Genfer Konvention mit dem Roten Kreuz zu tun?
Das Rote Kreuz kennt den Krieg genau, denn es kümmert sich um die Opfer. Das Rote Kreuz hat aber auch den Auftrag, die kriegführenden Parteien an die Regeln zu erinnern. Das Jus in bello - das Recht im Kriege - gilt deshalb weltweit und immer.
Darüber hinaus ist das Rote Kreuz beauftragt, die völkerrechtlichen Regeln weiterzuentwickeln. Dabei ist es abhängig davon, dass die Staaten dazu auch gewillt sind. Es sind die Staaten, die dafür Sorge zu tragen haben, dass die Regeln eingehalten werden.
Das Rote Kreuz klärt über die Regeln des Kriegsvölkerrechts auf. Deshalb gibt es die Konventionsbeauftragten. Nur die Kenntnis dieser Regeln kann dazu führen, dass diese im Ernstfall auch eingehalten werden. Konventionsarbeit ist damit immer wieder von neuem bemüht aufzuklären.
Warum ist das Ereignis im August 1864 auf engste Weise mit Stuttgart verbunden?
Als Henry Dunant die Idee einer Hilfsorganisation entwickelte, die im Falle eines Krieges den Verwundeten unparteiisch helfen sollte, fiel dieser Gedanke in Stuttgart auf fruchtbaren Boden. Schon 1863 wurde von Pfarrer Christoph Ulrich Hahn der Württembergische Sanitätsverein gegründet. Ein Jahr später unterzeichnete Pfarrer Hahn in Genf im Auftrag des württembergischen Staates die Genfer Konvention. Das war die Geburtsstunde des humanitären Völkerrechts. Stuttgart hat also das Verdienst, weltweit erste nationale Rotkreuz-Gesellschaft zu sein.
Das verpflichtet die heutigen Verantwortlichen, immer darauf hinzuweisen, dass die Regeln auch im Kriege unbedingt einzuhalten sind. Entscheidend sind dabei die Neutralität und Unparteilichkeit. Das Rote Kreuz wird zu Ursachen von Konflikten keine Stellung nehmen. Es hilft den Opfern - damals wie heute.
Wie hat sich die Genfer Konvention weiterentwickelt?
Historisch gesehen trommelte die Rot-Kreuz-Bewegung nach jedem großen Krieg die Staaten zusammen, um zu besprechen, welche neuen Regeln es braucht, um die Ausmaße der Schäden zu begrenzen. So kamen neue Konventionen hinzu. Vor genau 75 Jahren, am 12. August 1949, wurden die vier Genfer Konventionen in der heute gültigen Fassung verabschiedet. Praktisch alle Staaten haben diese unterzeichnet.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schad.