Die Mindeststandards der Menschlichkeit
In Stuttgart fand die 34. Tagung zum Humanitären Völkerrecht des DRK-Landesverbands Baden-Württemberg statt. Die Kernfrage lautete: Wie lässt sich Humanitäres Völkerrecht in der heutigen Zeit durchsetzen? Begrüßt wurde die Expertenrunde erstmals vom neuen Landeskonventionsbeauftragten Christian B. Schad, der zugleich langjähriger Konventionsbeauftragter beim DRK Kreisverband Stuttgart ist.
Bereits seit 1991 treffen sich im DRK-Landesverband Baden-Württemberg Wissenschaftler/innen, Praktiker und DRK-Konventionsbeauftragte mit Rechtsberaterinnen. Mit wechselnden Schwerpunkten will die jährliche Tagung eine Verbindung schaffen zwischen den rechtstheoretischen Aspekten des Humanitären Völkerrechts (kurz: HVR) einerseits und den ganz konkreten Aspekten in der praktischen Umsetzung andererseits. Bei der 34. Tagung drehten sich die Vorträge und Diskussionen um die Frage nach der Stärkung und der Durchsetzung des Humanitären Völkerrechts.
Grundregeln für bewaffnete Konflikte
In ihren einleitenden Worten wies Barbara Bosch, Präsidentin des DRK-Landesverbands Baden-Württemberg, auf vielfache Verstöße gegen das HVR hin. In einer Zeit, in der der Multilateralismus durch Spaltungen geschwächt werde, dürfe nicht unterschätzt werden, wie stark die weltweite Zustimmung zu den Grundregeln für bewaffnete Konflikte sei. Gleichwohl erscheine es, als ob die Verstöße gegen diese internationalen Abkommen mit der Zahl der Konflikte zunehme und kaum etwas dagegen auszurichten sei.
196 Staaten haben Genfer Konvention ratifiziert
Allerdings sei genau für solch höchst problematische Situationen die neutrale und unparteiische Hilfe des HVR geschaffen worden. Es enthalte Mindeststandards der Menschlichkeit, die in bewaffneten Konflikten einzuhalten sind. Seine Regeln müssen von allen Parteien befolgt werden, unabhängig von ihren Beweggründen, Krieg zu führen. 196 Staaten haben die Genfer Konventionen ratifiziert. Die Frage sei, wie sich diese Rechtsordnung in der heutigen Zeit mit ihren gesellschaftlichen, politischen und technologischen Umbrüchen durchsetzen lassen.
Dr. Katja Schöberl vom DRK-Bundesverband erläuterte die Schwerpunkte der 34. Internationalen Konferenz der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften. Die Ergebnisse der Konferenz finden ihren Ausdruck in sechs Resolutionen, darunter zum Aufbau einer universellen Kultur der Einhaltung des HVR sowie den Schutz von Zivilpersonen vor den menschlichen Kosten von IT-Technologien in bewaffneten Konflikten.
Die weiteren Vorträge befassten sich immer konkreter mit der Kernfrage der Tagung: Wie lässt sich das Humanitäre Völkerrecht in der heutigen Zeit durchsetzen? Prof. Andreas Zimmermann machte den Auftakt mit einem Vortrag, der „eher in moll“ die Herausforderungen betrachtete, denen sich das Humanitäre Völkerrecht aktuell gegenübersieht. So hätten gerade solche Staaten, die in Konflikte verwickelt seien, eine ganze Reihe von internationalen Verträgen erst gar nicht unterzeichnet. Er warnte davor, dass sich die militärischen Technologien schneller zu entwickeln drohen, als es dem internationalen Recht möglich sei.
Problematik Ermittlungsarbeit von Kriegsverbrechen
Markus Lischka und David Grasmann schilderten zum Auftakt des zweiten Tages die Problematik bei der Ermittlungsarbeit von Kriegsverbrechen – unter rechtlicher und praktischer Hinsicht. Danach erfolgte von Jasper Klinge aus Sicht der Bundesanwaltschaft eine Betrachtung, inwiefern sich die Verfolgung von völkerstrafrechtlichen Taten stärkend auf das Humanitäre Völkerrecht auswirkt. Anhand dreier erfolgter Verurteilungen schilderte er deren Rezeption und mögliche präventive Wirkung.
Schließlich ging Johanna Trittenbach von der Universität Leiden konkret auf das Potenzial wie auch auf die Herausforderungen von digital gewonnenen Beweismitteln ein, die bei der Verfolgung von Straftaten zum Einsatz kommen können. Dazu gehören Satellitenaufnahmen, YouTube-Videos oder auch digitalisierte Informationen wie Dokumentenscans.
Dazwischen rückte ein Panel das Thema der Verbreitungsarbeit aus unterschiedlichen Blickwinkeln ins Bewusstsein der Tagung. Die Durchsetzung des Humanitären Völkerrechts beginnt mit dessen Kenntnis und Akzeptanz in allen Bevölkerungsgruppen. Ohne dieses Bewusstsein und die Kenntnis in der Bevölkerung und den Institutionen droht die Kraft des Humanitären Völkerrechts ausgehöhlt zu werden.
Die Vorträge, Referentinnen und Referenten
- Die 34. Internationale Konferenz – eine bewegungspolitische Einordnung, Dr. Katja Schöberl, DRK e.V. – Generalsekretariat
- Durchsetzung des humanitären Völkerrechts angesichts neuer Herausforderungen, Prof. Dr. Andreas Zimmermann, LL.M. (Harvard), Universität Potsdam
- Panel Verbreitungsarbeit, Prof. Dr. Bernhard Frevel, Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen; Wolfgang Haager, Bundeswehr; Dr. Dieter Weingärtner, DRK-Bundeskonventionsbeauftragter
- Ermittlungen bei Kriegsverbrechen – rechtliche und praktische Herausforderungen (Weapons Intelligence Teams), Markus Lischka, Amt für Heeresentwicklung, Bundeswehr, David Grasmann, Universität Heidelberg
- Verfolgung völkerstrafrechtlicher Taten: Ein Beitrag zur Stärkung und Durchsetzung des humanitären Völkerrechts? – Ein Beitrag aus der Praxis, Jasper Klinge, Bundesanwalt beim BGH, Völkerstrafrechtsreferat
- Digitale Beweismittel in der Verfolgung völkerstrafrechtlicher Taten, Johanna Trittenbach, Universität Leiden
Text und Fotos: DRK Landesverband Baden-Württemberg